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Sonntag, 23. Juni 2019

⭐brandneue Rezension⭐: Sie nannten mich Joe: Ein Leben für die Musik - Verena Dahms



Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Traum, eine Vision, für die Sie alles aufgeben. Sie kündigen Ihren gut bezahlten Job und leben Ihren Traum. Doch plötzlich merken Sie, dass es gar nicht so leicht ist, wie gedacht, Ihrer Vision nahezukommen und Sie bedienen sich verbotener, süchtig machender Helferlein – Pillen und Drogen. Sie verlieren alles – alle Freunde, außer einem, Ihr Erspartes, die öffentliche Anerkennung, der Sie schon sehr nahe waren und Sie landen ganz unten, fallen ins Bodenlose, werden gerettet und sind Ihrem Ziel näher als zuvor. Doch ein intensives Erlebnis wirft Sie meilenweit zurück, schleudert sie endgültig in den Abgrund. Hätten Sie den Mut wiederholt aufzustehen?

Johannes vermochte es, denn ihm ist das alles passiert. »Ich werde es meinem Vater zeigen« – das ist der Satz in Joes Kopf, der ihn treibt, schon sein ganzes Leben. Der autoritäre Erziehungsstil seines dominanten Vaters brach Joes Selbstbewusstsein fast entzwei und zwang ihn in einen Lebensweg, den er nicht wollte. Ganz tief in ihm schlummert die Trauer, die Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung und der Wunsch sich auch selbst zu beweisen, dass er klar kommt im Leben – ohne seine Eltern und mit seiner Musik – dass er ganz groß rauskommt, als Bandleader, Musiker und Komponist. Er ist eigentlich auf der Suche nach Anerkennung seines Ichs, weil sie ihm im Elternhaus verwehrt wurde. Immer klein gehalten, will er nun ganz groß werden und hängt dafür seine Juristenkarriere an den Nagel, um nur noch für seine Band da zu sein, um genügend Songs für seine Band zu komponieren, Auftritte zu organisieren und um Ruhm zu erlangen.

Ohne es zu merken, entwickelt er ein übersteigertes Ego, aus der Angst heraus, nicht anerkannt zu sein, nicht wahrgenommen zu werden. »Ich werde es meinem Vater zeigen«. Und genau das wurde ihm zum Verhängnis. Von Anfang an setzte er sich und seiner Band sehr hohe Ziele. Das selbstauferlegte Arbeitspensum geht an die Substanz und Drogenexzesse sind an der Tagesordnung. Sehend und verstehend rast er zweimal auf den Abgrund zu. Beim zweiten Mal bleibt er liegen, landet auf der Straße, zwischen Müll und all den anderen Drogenabhängigen, bettelnd, verdreckt, verkommen, versifft.

Seine Freunde und Bandmitglieder wenden sich ab von ihm, er hat sie enttäuscht, sie lassen ihn fallen, außer einer – sein bester und ältester Freund. Der kämpft um ihn, zieht ihn aus dem Dreck! Hier zeigt sich, was richtige Freundschaft aushält, was und wie viel Menschen bereit sind, zwischenmenschlich zu investieren, zu geben, um gefallene Freunde wieder aufzurichten, wieder ins Leben zurückzuholen und auch, was aufrichtige Liebe dabei vermag. Und aus Joe wird Johannes, der an seinem neuen Leben baut, ihm zur Seite stehen sein bester Freund, auch neue Freunde, seine Liebe und ja, auch seine Eltern. Johannes hat sich gefunden, endlich und Gott sei Dank. Übrigens war mir Joe als Protagonist sehr nahe und oft verspürte ich das Bedürfnis, ihn bei der Hand zu nehmen, ihn wachrütteln und aus den unschönen Lebenssituationen hinauszuführen.

Eine Hammerstory – die Drogenszene, mit ihren schmuddeligen Treffpunkten in Berlin, die Szenenkneipen, die soziale Situation in der Szene – immens gut recherchiert.

Eine Handlung, die unter die Haut geht, die psychologische Tiefe und emotionale Vehemenz vereint. Die charismatischen, sehr lebendigen Charaktere und die bildgestaltende, realitätsnahe Erzählweise der Autorin ergänzen sich hervorragend. Das Buch ist ein spannendes und nahe gehenden Leseerlebnis. Beim Lesen des Buchs sah ich einen Film in meinem Kopf ablaufen – Kopfkino par excellence. Das Buch hat meine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Heidelinde Penndorf

(23.06.2019)






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