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Dienstag, 8. Dezember 2020

⭐neue Leseempfehlung⭐: NOVEMBERKIND - Esther Gille



Ein mutiges Buch, ein trauriges Buch, ein Buch, dessen Inhalt mich auch des Nachts beschäftigte, mich oft grübelnd und gedankenvoll zurückließ. Mir fehlten anfangs die Worte, es zu rezensieren – emotional fühlend war ich bei der Protagonistin und deren Familie. Eine Geschichte, die man sich so nicht ausdenken kann. Es ist eine erschütternde Autobiografie der Autorin Esther Gille, die gleichzeitig diverse politische Richtlinien der Adoptionsverfahren der Schweiz vor ca. siebzig Jahren und altbackene rückschrittliche damalige Denkweisen beschreibt.

Sprachlos musste ich manchmal das kleine Buch beiseitelegen, um Abstand zum Gelesenen zu finden.

Das innere Kind der Autorin war eine einzige Wunde, die fast sieben Jahrzehnte lang nicht heilen konnte – Selbstverachtung und Selbstaufgabe waren die Folge. Esther Gille definierte sich nur durch Leistung und dies sogar ausgezeichnet. Doch innerlich war sie leer, es bedeutete ihr persönlich nichts, was sie leistungsmäßig alles erreichte. Sie verzehrte sich nach Liebe und dachte, sie mit Höchstleistungen zu erlangen. Ja sie bekam verhaltene Achtung, die sie als Liebe deutete. Doch das übertünchte nicht ihr inneres seelisches Trauma. Immer wieder ging sie Partnerschaften der Abhängigkeit ein und entzog sich diesen erst, wenn es für ihr psychisches und physisches Wohlbefinden oft schon zu spät war.

Zu den bestehenden alten seelischen Wunden kamen immer neue hinzu, weil sie sich eben immer Freundschaften und Partnerschaften suchte, die sie diesbezüglich herausforderten. Schmerz, Scham und das Gefühl nicht zu genügen, Trotz und Wut mit sich selbst, waren an der Tagesordnung.

So konditioniert gab sie dies auch an ihre Kinder weiter, die dadurch auch einen großen geerbten genetischen Rucksack zu tragen haben, zumal sie einige diesbezügliche Partnerschaften miterlebten und so doppelt negativ konditioniert sind.

Während des Lesens hatte ich oft das Gefühl, eingreifen zu müssen, die damals junge Frau durchschütteln zu müssen, damit sie aufwacht und erkennt, dass sie, dass ihr Selbst, nicht durch Leistung dazu führt, dass sie als Mensch die Liebe erfährt. Liebe – nach der sie sich schon ihr ganzes Leben lang sehnte.

Immer wieder begab sie sich in Situationen, die ihrem inneren Kind und ihrem inneren Erwachsenen sehr schadeten, sie immer tiefer in den Abgrund führten.

Und plötzlich ging nichts mehr – körperlich nicht, sprachlich nicht, und psychisch nicht – und eigentlich war das ihr großes Glück, so tief abzustürzen. Denn sie erfuhr dann endlich, fast mit siebzig Jahren, die Erlösung. Esther Gille begegnete einem sehr empathischen und fachlich sehr gutem Therapeuten, der sie wieder ins Licht des Lebens führte. Das war oft schmerzlich, sie war oft unsicher, doch sie hat es geschafft, sonst gäbe es dieses Buch nicht.

Ich danke Esther Gille für ihre Offenheit, für dieses Buch, welches ich uneingeschränkt weiterempfehle. Menschen, die in ähnlicher Situation sind, können sich daraus viel mitnehmen, sollten aber aufpassen, wenn sie spieglungsgleiches erlebt haben, besteht Triggergefahr,

Ich wünsche der Autorin noch viele schöne Jahre, um ihr befreites Selbst genießen zu können.

Heidelinde Penndorf

(Dezember 2020)






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