Kurze Inhaltsangabe, Auszug Klappentext:
Fünf Teenager zelten am Karfreitag 1984 am Totenmaar. Am nächsten Morgen sind drei von ihnen tot – sie wurden auf grausame Art und Weise ermordet. Die anderen beiden überleben schwer verletzt. Sebastian behauptet, nichts gesehen zu haben und Katharina hat durch das Trauma ihr Gedächtnis verloren. Der Täter wurde nie gefunden. 30 Jahre später werden die Morde von Ermittlerin Janna Habena als ›cold cases‹ wiederaufgenommen. Bei der erneuten Befragung trifft Katharina nach all den Jahren wieder auf Sebastian und die beiden verlieben sich ineinander. Doch kann sie ihm wirklich vertrauen? Spielt Sebastian ihr nur etwas vor, weil er Angst hat, dass sie sich erinnert? Und weiß er mehr als er zugibt?
Forgotten Girl basiert auf einem authentischen, ungelösten Mordfall aus Finnland.
Rezension:
Das Buch mag man nicht aus der Hand legen, ehe man es nicht zu Ende gelesen hat. Eva-Maria Silber versteht es, ihre Leserschaft zu fesseln und mit ihnen zu spielen. Legt falsche Fährten, lässt ihre Leser zappeln bis zum Ende, nie weiß man, wer der Täter ist. Die oftmals langwierige Ermittlungsarbeit der Kriminalpolizei, gestaltet sie inhaltlich so interessant, dass die Leser neugierig am Ball bleiben.
Die Autorin unterfüttert die Handlung mit profundem Fachwissen, nichts kommt oberflächlich daher. Und sie zeigt auf, was im Ernstfall passieren kann, wenn drei sehr unterschiedliche Charaktere, zum falschen Zeitpunkt, in einer psychischen Ausnahmesituation aufeinandertreffen.
Da ist der charismatische, charmante, gut aussehende Sebastian, mit seinem übersteigerten aufgeblähten Ego, welches er bisher immer im Schach gehalten hat, weil ihm, in seinem jungen Leben, bisher alles zufiel. Erfolgsverwöhnt, entwickelt er tief greifende narzisstische Züge, die ihm aber selbst nicht bewusst sind.
Wir treffen auch auf Britta, eine kleinen Lolita, die sehr bewusst, bis zu einem gewissen Grad mit den Jungs spielt, sie lockt und sich dann verweigert, einfach, weil es ihr Spaß macht.
Und die Leserschaft lernt die Pfarrerstochter Katharina kennen, das Pummelchen. Sie ist durch die überstrenge Erziehung ihres Vaters falsch konditioniert und entwickelt ein schüchternes unscheinbares Selbst, sieht nur ihre körperlichen Unzulänglichkeiten und findet nicht zu ihrer inneren Stärke. Sie mag sich auch gar nicht, kann sich nicht annehmen und entwickelt starke Minderwertigkeitskomplexe.
Die drei gehen mit noch einer Freundin und einem Freund der gleichen Klasse, also auch des gleichen Alters, zelten, um in Brittas 15. Lebensjahr hinein zu feiern
Jede Menge Valium, Alkohol, unterschwellige sexuelle Spannungen, verletzte Gefühle, verletzter Stolz, verletzte Eitelkeiten und aufsteigender Hass und Neid, lässt die Anfangs fröhliche Stimmung kippen und es kommt zu einer ungehemmten Entladung dieser hochexplosiven Mischung. Die Leser erleben eine Horrornacht, nach der es nur zwei schwerverletzte Überlebende gibt.
Die Polizei sucht fieberhaft nach dem Täter – ergebnislos! Auch nach 30 Jahren noch, bleiben die drei Morde unaufgeklärt. Doch Eva-Maria Silber lässt die Leser am Ende der Handlung wissen, wer die drei Jugendlichen auf bestialische Weise ermordete.
Katharina ist eine der Überlebenden, sie entwickelt eine schwere PTBS (posttraumatische Belastungsstörung), verbunden mit einer retrograden Amnesie, die sie ihr ganzes Leben lang begleiten. Ihre retrograde Amnesie, manchmal durch Flashbacks unterbrochen, löst sich zum Ende der Handlung auf und die junge Frau versinkt danach für immer, im geistigen Nirgendwo. Die einzigen, die im Endpunkt dann wissen, was Katharina in jener Nacht damals erlebt und gesehen hat, bleiben die Leser - ein grandioser Leseeffekt!
Übrigens kommt die Leserschaft der Protagonistin Katharina menschlich sehr nahe, da diese in der Ich-Form Erzählung, nach dieser Horrornacht, ihre Lebensereignisse mit uns teilt. Man glaubt sie zu kennen, und das auch ziemlich gut. Genial umgesetzte Idee der Autorin.
Insgesamt präsentiert uns Eva-Maria Silber einen düsteren, fesselnden, sehr spannenden Kriminalroman, welcher sich mit den Tiefen und Abgründen menschlicher Charaktere, verschiedener Persönlichkeitsstrukturen und Konditionierungen auseinandersetzt und zu einer überraschenden Auflösung führt, die ich so nicht vermutet und erwartet habe. Ein Buch, dessen Handlung die Leserschaft, über das Lesen hinaus beschäftigen wird, ein Buch, welches eindrucksvoll nachwirkt.
Chapeau Eva-Maria Silber!
Ich empfehle das Buch der Leserschaft sehr gern: Lesen Sie es!
Heidelinde Penndorf
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